(Nostalgie aus Kindheitstagen)
Abschied von einem guten Kameraden
Erinnerung an Gottfried Krug, geb.20.11.1889 gest.19.2.1946
Am 19. Februar 1946 starb an den Folgen einer Magenerkrankung der Besitzer der Mühle in Unterschweinheim
Wenn wir heute den. Menschen und Künstler ein paar Zeilen der Erinnerung weihen, so erfüllen wir damit eine Dankespflicht, die der Lebende abwehrend ausgeschlagen hätte, die dem Toten aber ein ehrendes Denkmal ist. Gottfried Krug wurde am 20.November 1889 geboren. Er übernahm im Jahre 1915 gemeinsam mit seinen beiden Brüdern Ludwig und Egid die Mühle, die sich bereits seit 1689 im Besitz der Familie befand. Die Mutter war Frau Christina Krug, geb. Bleidorn, geb. am 24.Juli 1858 zu Unterschweinheim, gestorben am 14. März 1915 daselbst. Nach dem Tode des ältesten Bruders bewirtschaftete Gottfried mit seinem Bruder Egid in vorbildlicher Arbeitseinteilung das Gut.Die Liebe zur Natur war es in erster Linie, die dem jungen Müllers Sohn die Wege zur Kunst finden ließ. Schon in jungen Jahren versuchte er die Landschaft, die ihn umgab, zu zeichnen und zu malen. Die Mühle wurde ihm immer ein neu geschautes Objekt. Das Tal mit den sanft ansteigenden Hügeln skizzierte er in allen Variationen und die Blumen, die zu allen Jahreszeiten in seinem Zimmer waren, gestalten sich unter seinen Händen, um nie mehr zu verblühen. So entstanden im Laufe der Zeit Werke, die beachtlich und hervorragend waren und bei deren Sichtung man erstaunt die Frage aufwirft, warum nie ein Zeugnis des künstlerischen Könnens an die Öffentlichkeit drang. Aber Gottfried Krug war der Stillsten einer. Er mied die Welt, den lärmenden, lauten Markt, er malte in der Einsamkeit seiner Mühle nur für sich und seine nächsten Freunde. Maler und Künstler aus allen Teilen Deutschlands waren schon Gast in der Mühle.
In der dunkelbraunen, holzgetäfelten Stube saßen sie an dem schweren, langen Eichentisch und manchem Gast schmeckte das Essen, dass von der Haushälterin Anna Krug, die eine Verwandte der Gebrüder Krug war, auf den Tisch gestellt wurde. Mancher fand in den bitteren Jahren des Krieges dort die Ruhe und den frieden und eine zweite Heimat. Während des Krieges wurde in der großen Backstube das Brot für die Wehrmacht gebacken. Gottfried Krug hatte noch zwei Gehilfen, der eine hieß Lorenz und der andere Heinrich. Das gute Brot war in Schweinheim und in Aschaffenburg bekannt. Es wurde mit dem Brotwagen, der blau angestrichen war und von einem weißen Schimmel gezogen wurde, jeden Tag voll beladen vom Kutscher Seppel zu der Kundschaft gefahren.
Die Kinder von Unterschweinheim waren in der Krugsmühle wie zu Hause. Sie trugen der Anna von der Holzhalle Holz in die Küche und durften die Butter ausstampfen. Dafür gab's dann ein Brot mit dick Butter drauf. Jeder wollte am liebsten das "Knörz'chen“. Gottfried Krug war sehr kinderlieb. Die Kinder sangen in der Backstube Lieder vor, darunter auch ich. Dafür bekamen wir Teig. Wir holten uns draußen vom Apfelbaum einen Apfel, der wurde in Brotteig eingewickelt und im Backofen gebacken. In der Mühle spielten wir Versteck bis hinauf zum Kornspeicher, der von Zeit zu Zeit umgeschaufelt werden musste. Für uns Kinder war auch der Aufzug interessant, mit dem die schweren Säcke hochgezogen wurden, aber der war für uns verboten, er war zu gefährlich.
In den Ställen standen vier Pferde und viele Kühe, aber auch Gänse, Enten und Hühner waren vorhanden. Manche Hühner legten ihre Eier in die Hecke und in das Gebüsch. Wenn wir so ein Nest fanden, waren meist 10 bis 15 Eier darin, die haben wir dann der Anna gebracht. Aber meist waren die Eier angebrütet und schon schlecht.
Gottfried Krug war auch ein Vogelliebhaber. Er hatte hinten an der Hofeinfahrt einen Vogelpark. Darinnen waren Kanarienvögel und gelbe, grüne und blaue Wellensittiche. Sie bauten ihre Nester in Drahtkörbe und brüteten dort ihre Eier aus. Auch gab es nebenan einen kleinen Steingarten. Dort standen seltene Gebirgspflanzen, auch Edelweiß und Enzian. Gottfried Krug fuhr öfters in seine geliebten Berge und machte mit Freunden Bergtouren.
Zu dem Gut gehörten große eigene Felder die bis in die „Strüht“ reichten und sich zum „Bischberg“ hinzogen. Dort stehen heute noch die Apfelbäume, die von den Ahnen gepflanzt wurden. Am Hof befand sich ein großer Hausgarten, der immer gut gedüngt wurde und Josefa sorgte, dass Anna, die Köchin, alle Sorten Gemüse, Kräuter und Salate für die Küche hatte. In der Küche, die groß und lang war, stand ein großer gemauerter Herd mit einem großen Wasserschiff und Bratröhre, ein eingebauter Küchenschrank und ein langer Tisch, der mit grünem Linoleum belegt war. Neben der Küche war die Speisekammer, die immer reichlich gefüllt war. Des Öfteren im Jahr wurde geschlachtet und die Räucherkammer hing voll mit Schinken und Würsten. Das Fleisch wurde in Dosen und Gläser eingeweckt.
Im Hauskeller, in dem man vom Hof aus hinunter stieg, es waren mindestens 15 Treppen, wurde der Apfelwein gelagert, die Milch, die Butter und Kartoffeln. In der Brotstube wurde das gebackene Brot auf langen Brettern, 4 übereinander, gelagert und zum Verkauf bereit gelegt. Bereits ein Telefon befand sich in der Brotstube. An manchen Wochenenden backte man Zwieback, der nur für die Krugs-Familie bestimmt war, besonders aber für Gottfried, der immer schon mit seinem Magen empfindlich war. Ab und zu bekamen wir Kinder einen Zwieback. Zu Festlichkeiten und am Wochenende trugen die Unterschweinheimer ihre großen Kuchenbleche zum backen in die Backstube, voll belegt mit Zwetschgen; Äpfel- und Streuselkuchen, der mit guter Butter gemacht wurde. Vom Hof Völker wurden die selbst gemachten Brote gebacken und an Weihnachten Unmengen Christstollen und Plätzchen. Man machte zu Hause alles fertig und brachte es in die Krugs-Mühle zum backen.
Wenn alles schön gebacken war, bekam der Bäcker ein extra Trinkgeld. An Neujahr wurden Butterbretzel gebacken und von Schweinheim kamen die Musikanten und spielten am Sylvester Abend ihr Ständchen auf. Sie wurden mit Essen und Trinken belohnt. Noch eine Kindheitserinnerung blieb gut in meinem Gedächtnis haften. Da kam öfters der Jude Feldmann und der Jude Saly in die Krugsmühle. Sie handelten mit Vieh. Jude Feldmann kam mit einer Kalesche die von einem Pferd gezogen wurde. Er brachte uns Kindern immer das weiße Matzenbrot mit. Er war ein kräftiger Mann und hatte einen grauen Backenbart.
Auch denke ich noch an die "Weckfrenz". Das war eine ältere Frau, sie war sehr arm. Sie trug für die Bäckerei Hench in der Sandgasse in Aschaffenburg Weck und Apfeltaschen nach hier in die Unterhainstrasse, die köstlich schmeckten.
Das war alles so um die Jahre 1932.
Viele Schweinheimer kamen zu den Unterschweinheimer Bauern und halfen bei der Ernte als Taglöhner. Es gab Kaffee und Marmeladenbrot um vier Uhr nachmittags und am Abend Hausmacherwurst, Pellkartoffeln und selbst gekelterten Apfelwein. Für einen halben Tag Arbeit auf dem Feld gab es einen Stundenlohn von 2,50 Reichs Mark. Nach der Tagesarbeit saß man auf der alten Hausbank. Sie stand vor der Brotstube an der Hauswand.
Als Kinder hatten wir vor dem Knecht, es war der "Schweizer Ludwig" großen Respekt. Aus Neugierde schlichen wir uns in seine Knechte Kammer, doch er erwischte uns dabei, wir waren zu zweit und er verteilte Backschellen. Er hatte immer eine Hängepfeife im Mund und rauchte und schnupfte.
Im Herbst stand eine ganze Woche die Dreschmaschine im Hof mit dem Bulldock. Ein langer Lederriemen trieb sie an. Günter, ein vorwitziger Lausbub, hängte sich einmal an den Riemen, sein Freund brachte den Motor an und er wurde auf den Boden geschleudert und war bewusstlos. Auch denke ich noch zu dieser Zeit an den Birnbaum, voll mit reifen Birnen, der hinten im Hof stand. Es waren "Lorenzbirnen", zuckersüß. Die Wespen mochten sie auch gern. Davon konnten wir essen, soviel wir wollten. Auch standen hinter dem Gutshof einige Nussbäume, die fasst jedes Jahr voll mit Nüssen hingen. Im Herbst wurden sie geerntet und oberhalb der Backstube außen luftig getrocknet. An der Viehwaage kletterten wir hoch und stibitzten Nüsse. Aber nur, wenn die Luft rein war und uns niemand bemerkte.
Vor dem Mühlrad hatten wir Angst. Man sagte uns: „Da ist der Mühlkater drinnen und der beißt". Das Mühlrad war tief unten und war groß. Wenn starker Regen fiel und der Bach am überlaufen war, wurde oben an der Wiese der Bach umgeleitet auf den Seitenbach, den man heute noch sieht. Es ist der Häsbach! Oder Hensbach. Einmal war ein großes Unwetter und der Bach quoll über und das Wasser lief in die Küche hinein und vorn durch den Gang in den Hof hinaus.
Im Spätherbst, wenn die Hauptarbeit getan war, ging es mit zwei großen Leiterwagen, davor vier schwere braune Pferde, schon in aller früh zwischen 3-4 Uhr in den Spessart. In der Nähe von Rohrbrunn hatten die Gebrüder Krug einen eigenen Wald, dort wurde Buchenholz geschlagen. Es war für den Backofen bestimmt, denn das Brot wurde mit Buchenholz gebacken. Der Backofen wurde angeschürt und wenn das Holz verkohlt war, wurde es herausgekratzt und dann mit einem langen Stab an dem ein Tuch befestigt war, sauber geputzt. Manchmal fand man unten am Brotlaib noch ein bisschen Holzkohle vor. Meine Eltern pflanzten das Korn selber und im Herbst lieferten wir es in der Mühle ab. Ein Teil wurde zu Kleie geschrotet, für Schweine- Ziegen- und Hühnerfutter. Aber der größte Teil war für Brot bestimmt. Das Korn wurde gutgeschrieben und wir holten 4 Brote, frisch gebacken, nach Hause und wenn es verbraucht war, wurde wieder frisches Brot geholt. Man musste nur noch dafür den Backlohn bezahlen.
Eine Erinnerung möchte ich auch noch festhalten. Ich hatte meinen ersten Urlaub und es war Krieg. Es war im Jahre 1942. Ich fuhr für 14 Tage mit der Eisenbahn an den Tegernsee. Als ich dies Gottfried Krug mitteilte, freute er sich mit mir und er gab mir ein Kuvert, darinnen waren Brotmarken, um die ich damals sehr dankbar war. Es gab ja Lebensmittelkarten und man musste sparsam mit den Brotmarken umgehen.
Gottfried Krug war ein guter Mensch. Doch einmal zog er mir doch die Ohren lang und das war so:Am Abend holte ein Junge von der Bergstraße Milch in der Krugsmühle, der mich ärgerte, so dass ich ihm, einen Stein an den Kopf warf und er blutend zu Gottfried lief. Der Bub hatte rote Haare und war ein Lehrers-Sohn.
Erinnerungen! Als dann auch die gute Anna krank wurde und bald darauf starb, war der Bruder Egid Krug noch allein auf dem Hof. Dann wurde es still in der alten Mühle. Selbst das Klappern des Mühlrades war nicht mehr zu hören, dem die Mühle wurde abgestellt. Übrigens, auch beim Tod des Meisters, stellte man ihm zu Ehren die Mühle ab. Etwas, das seit Jahrzehnten, selbst in den Tagen der Stadtverteidigung, nicht vorkam.
In der Holzgetäfelten Stube blühten die ersten Frühlingsblumen, in der Ecke stand der braune Kachelofen und gab seine mollige Wärme, das gemütliche Sofa daneben mit dem Radio an der anderen Ecke. Ein schwerer Schreibtisch war noch da, mit vielen Schubfächern und mit einen Rollladen Verschluss, der mich als Kind immer sehr faszinierte. An den Wänden Bilder, die alle von Gottfried Krug gemalt waren. In der Wohnstube führte eine Tür in das Schlafzimmer von Egid Krug. Im ersten Stock droben im kleinen Atelier lag immer ein Hauch von Firnis und Ölfarbe. Doch nach seinem Tod standen die Pinsel einsam im Krug und die Staffelei war an die Seite gerückt - der Meister kehrt nicht wieder. Er starb im Krankenhaus an der Kochstrasse, das später ein Kinderheim war. Unvergänglich aber waren seine Bilder, seine Taten, seine Liebe zu allen Menschen und allen Dingen. Gottfried Krug war das Beispiel eines guten Menschen. Als solcher: bleibt er unvergessen.
Nach dem Tod des Bruders Egid, ging der Hof und die großen, weiten Felder an die Stadt Aschaffenburg, die das Besitztum von den 35 Erben abkaufte. Die schönen Bilder und sehr schönen, wertvollen Möbel gingen in viele Hände über. Auf eines der Ölbilder kann ich mich noch besonders gut erinnern. Man sah ein Kornfeld, am Weg gingen zwei Apostel. Im Kornfeld sah man blaue Kornblumen und rote Mohnblumen. Die Ähren hingen schwer herunter.
Man hatte Interesse, die Mühle zu erhalten, ein Landwirt wollte die Mühle pachten, aber eines Tages hieß es, das Anwesen wird abgerissen und dem Erdboden gleichgemacht. Die Unterschweinheimer holten sich dabei Holz und manches, was man noch gebrauchen konnte. Im Speicher fand ich noch ein altes Spinnrad, dass aber ganz wurmstichig was. Ein kleiner verschnörkelter Bilderrahmen - das ist alles, was noch von der Krugsmühle vorhanden und in meinem Besitze ist.
An der Stelle des Hausgartens steht heute ein schönes neues Haus und wo einst die Mühle stand, ein freier Platz.
Sie hat uns Kinder sehr viel bedeutet - die Krugsmühle und es ist schade, dass es sie nicht mehr gibt. Vom Main aufwärts gibt (bzw. gab) es die Eckertsmühle, Krugsmühle Miltenbergermühle Eichsmühle, alle in der Unterhainstrasse, die Kempfmühle, Aumühle und Dümpelsmühle, und der gute Hensbach ließ alle Mühlenräder laufen.
Aschaffenburg im August 1987
Christine Felkel, geb.Staab
Aschaffenburg